INTERVIEWS. TEXTS . PRESS

Firenze, Festival dei Popoli, 30. November 2014.


Interview Carmen Zinno, FESTIVAL DEI POPOLI

„Begegnungen am anderen Ende der Welt“
„Ein Lächeln, eine Geste oder ein Blick haben in diesem Film die Wucht einer Explosion, die zu einer erschütternden Erkenntnis führt: Auch sehr enge Beziehungen können rein zufällig zustande kommen. In der ersten Klasse teilte uns unsere Lehrerin zufällig einen Banknachbarn oder eine Banknachbarin zu – und diese Person wurde automatisch unser bester Freund oder unsere beste Freundin. Hätten wir neben jemand anderem gesessen, wäre vielleicht jener andere unser bester Freund geworden. Jeder von uns kennt wahrscheinlich eine vergleichbare Situation aus seiner Kindheit, doch erst die Beobachtung dieses Prozesses auf der Leinwand, im Zeitraffer und gewissermaßen im Versuchsmodus, erzeugt eine so erschütternde Wirkung. Ein Kunstwerk, das man bereits zu diesem Zeitpunkt als einen der interessantesten Filme des Jahres 2015 bezeichnen kann.
GOETHE-INSTITUT

„Stummer Gast“
Schröter nun in „The Visitor“ dabei zuzuschauen, wie sie diese Art
von Kontaktaufbau gemeinsam mit Kamerafrau Paola Calvo in den drei Megastädten versucht, ist eine unwahrscheinlich reichhaltige Erfahrung. Denn mit der Lösung aus der gewohnten Sprachlichkeit öffnet sich ein Raum von wunderbar haptischer Qualität, die einem das Kino leider selten gewährt.
TIP BERLIN

„The Visitor“ lässt schnell die Einsamkeit der verschiedenen Personen hervortreten und zeichnet dabei ein Bild tiefer Menschlichkeit – auch dank des Spiels Schröters, der es in beeindruckender Weise gelingt, wortlos eine intensive Bindung zu ihren Gegenübern aufzubauen.
DER FREITAG

Neue Wege/Neue Räume
Die Versuchsanordnung des Films spielt mit Grundsehnsüchten, die wahrscheinlich jeder von uns kennt. Eine davon ist die Neugier auf ein unbekanntes Leben, das nichts mit dem eigenen zu tun hat; der Wunsch, daß man sich in dem fremden Leben aufhalten könne, als wäre man selbstverständlich ein Teil davon, als gehörte es einem für ein paar Stunden oder Tage, und man könne für diesen Zeitraum darin umhergehen wie in etwas Vertrautem, während man das eigene Leben für denselben Zeitraum ablegt. Es ist die Erfüllung einer Fantasie, die hofft oder glauben will, daß man sich allmählich ein anderes Schicksal aneignen kann, indem man es genau beobachtet, daß man erfahren kann, wie es wäre, ein anderer zu sein, wenn man diesem anderen nur nahe genug kommt, daß es Räume der Erfahrung gibt, die man betreten kann, wenn man geduldig genug ist.
Auf einer abstrakten Ebene ermöglicht der Film den Beteiligten, ihr eigenes Leben mit den Augen eines Fremden zu sehen. Und in diesem eigenen Leben dabei gleichzeitig zu agieren wie in einer Fiktion.
Es ist die Form dieses filmischen Experiments, die die Beteiligten zur Reflexion nötigt, und so eine Art von Selbsterkennung als Prozeß als Möglichkeit generiert – nicht eine Selbsterkenntnis als Ergebnis. Die Form, weil sie nicht abgesichert ist, eröffnet die Möglichkeit. Die Möglichkeit bleibt eine Möglichkeit, sie muß nicht abgeschlossen werden, muß zu keinem Ergebnis führen. Beide, Besucherin und Besuchte/r schaffen ihre Geschichte in jedem Moment oder entwerfen sie allmählich, und wissen, daß sie sie entwerfen.
K. geht durch den Film fast wie durch eine Traumwelt, die sie so nur finden kann, weil sie nicht spricht. Sie erschafft sie durch Stummheit. Und auch die Personen, denen sie begegnet, erschaffen ihr Leben in gewisser Weise neu oder noch einmal, indem sie die Stumme definieren, in ihrer Funktion für sich. Sie schaffen also ihre eigene Fiktion, die aber real ist. Es ist ein Film, es ist kein Film, gleichzeitig.
Es ist diese schwebende Doppeldeutigkeit, die den Film so faszinierend macht; weil er damit auch dem Zuschauer die Denk- und Handlungsspielräume in seinem eigenen Leben bewußt macht und sie ihm zurückgibt. Die Wirklichkeit ist nicht nur so, wie wir sie vorfinden und nicht nur die, in die wir uns einzupassen haben, sondern wir schaffen sie durch unsere Imagination. Der Film gibt dem Zuschauer die Freiheit zurück, die in seiner Vorstellungskraft liegt.
Poetics lecuture in Leipzig about „The Visitor“, DEA LOHER

„Nichts tun, damit etwas Neues entsteht“
Interview, DER FREITAG

PUBLICATIONS . PHD . UNIVERSITY

„Public Access in Ulysses and Katarina Schröter’s The Visitor“
Professor Catherine Flynn , Berkley University California

„Poetische Un-Gerechtigkeit. Der Film „The Visitor“
Matze Schmidt, Leuphana Universität Lüneburg

„Der Essayfilm der Gegenwart- am Beispiel von Katarina Schröter’s The Visitor“
Dr. Stefanie Catania, University of Bamberg,
Neuere deutsche Literaturwissenschaft

Kunst und Medien
Narrativer Film, Stefanie Gaus, Seminar, UDK Berlin